- Ebla - Byblos - Ugarit: Die frühen Stadtkulturen
- Ebla - Byblos - Ugarit: Die frühen StadtkulturenDie Kanaanäer und Phöniker lenken unseren Blick auf einen Kulturraum der Alten Welt, der von seiner geographischen Natur her dafür geschaffen war, sowohl Schauplatz des friedlichen Austauschs als auch der kriegerischen Auseinandersetzung zwischen den Anrainern - den politischen Großmächten Anatoliens, Mesopotamiens und des Niltals - zu werden. Das westliche »Horn« des »Fruchtbaren Halbmonds« entlang der Mittelmeerküste der heutigen Staaten Syrien, Libanon und Israel hat im Westen Anteil am feuchtwarmen mediterranen Klima, stößt aber auf seiner Ostseite an Wüsten. Auf der nordsüdlich verlaufenden und 600 km langen Achse ist dieser schmale Landstrich scharf gefurcht von einer tiefen Senke, der Beka-Ebene, die nach Norden vom Orontes, nach Süden zuerst vom kurzen Lauf des Litani, dann vom Jordan durchflossen wird. Quertäler durchstoßen wie Hohlwege die flankierenden Gebirgszüge, deren westlicher in seinem mittleren Teil, dem Libanon, bis knapp über 3000 m aufragt. In dieser Landschaft entstanden seit eh und je kleinere, politisch unabhängige, nicht selten in offenem Gegensatz zueinander stehende städtische Lebensgemeinschaften. Diese Kultureinheiten konnten sich vor allem dann zu eigenem Handeln entfalten, wenn im Spannungsfeld der Großmächte ringsum ein Kräftevakuum entstanden war.Die Griechen nannten dieses Land »Phönikien«, seine Bewohner »Phöniker«. Allem Anschein nach bezogen sich diese Bezeichnungen - herzuleiten vom griechischen Wort »phoinix« (»purpurn«) - auf die Purpurfärberei, die über Jahrhunderte hin ein Monopol der Phöniker war. Die Phöniker selbst bezeichneten sich wohl in erster Linie nach ihrer persönlichen Herkunft aus bestimmten Städten, etwa als Tyrier, Sidonier oder Gibliter - mit Namen also, die auch dem ältesten griechischen Zeugen, Homer, schon vertraut waren. Daneben sind vor allem aus der biblischen Überlieferung die älteren Namen »Kanaan« und »Kanaanäer« verbreitet. Sie tauchen schon im 3. Jahrtausend v. Chr. als Benennung für den größeren syrisch-palästinensischen Raum und die ihn bewohnenden Völker auf. Die Phöniker der historischen Zeit haben dann diesen Namen offensichtlich für sich übernommen. Aus einer viel zitierten Passage bei Augustinus geht hervor, dass sich noch im 5. Jahrhundert n. Chr. die in der Umgebung der von Phönikern gegründeten Stadt Karthago ansässigen Bauern als »Chanani« bezeichneten.Die Geschichts- und Altertumswissenschaft hat sich im Allgemeinen darauf geeinigt, unter dem Begriff »phönikisch« die Stadtkulturen der Levanteküste etwa zwischen Ugarit im Norden und dem Berg Karmel im Süden zu verstehen. Die Ausdehnung ins Hinterland ist von Fall zu Fall verschieden; die jenseits der Beka-Ebene auf den Vorbergen des Antilibanon gelegene, spätbronze- und eisenzeitliche Stadt Kumidi (heute Tell Kamid el-Loz) wird man auf jeden Fall zum phönikischen Kulturraum rechnen, ebenso die von der Expansion der Phöniker in den Mittelmeerraum hinzugewonnenen Gebiete. Allgemein akzeptiert sind die zeitlichen Grenzen, innerhalb derer von Phönikern und phönikischer Kultur gesprochen werden kann: Ihr Anfang wird markiert vom Eindringen der »Seevölker« und von den etwa gleichzeitigen Umwälzungen in den letzten beiden Jahrhunderten des 2. Jahrtausends v. Chr., die im östlichen Mittelmeergebiet auch den technologie- und wirtschaftsgeschichtlich wichtigen Wandel von der Bronze- zur Eisenzeit meinen; die Einbeziehung der vorangegangenen kanaanäischen Phase in die Betrachtung der phönikischen Kultur ist gleichwohl gerechtfertigt. Das Ende der phönikischen Kultur wird meist mit der Eroberung Vorderasiens durch Alexander den Großen um 330 v. Chr. gleichgesetzt. Von den phönikischen Handelskolonien im westlichen Mittelmeer bewahrte eine dagegen länger ihre Eigenständigkeit: Karthago, dessen Bewohner von den Römern »Poeni« (»Punier«) genannt wurden, war noch bis ins 2. Jahrhundert v. Chr. die vorherrschende Macht im westlichen Mittelmeer.Die besonderen Merkmale der Lebensart und der Gestaltungskraft der Phöniker verwirklichten sich - wie schon in der »kanaanäischen« Bronzezeit - in ihren Städten. Die drei hier ausgewählten frühen Beispiele Ebla, Byblos und Ugarit, mit denen jeweils ein besonders erfolgreiches Kapitel in der Geschichte der Archäologie verbunden ist, können dies hervorragend veranschaulichen.Das forschungsgeschichtlich zuletzt entdeckte Ebla (heute Tell Mardich) ist im syrisch-palästinensischen Kulturraum eine der ältesten Städte. Seine größte Blüte erlebte es in der zweiten Hälfte des 3. Jahrtausends. Die im Palast des Stadtkönigs gefundenen umfangreichen Tontafelarchive erregten viel Aufsehen, vielleicht gerade weil sich die in einem frühen nordwestsemitischen Dialekt abgefassten Urkunden immer noch nicht ohne weiteres lesen und übersetzen lassen. Die Verwendung sumerischer Schriftzeichen auf diesen Tontafeln und sumerische Einflüsse in den literarischen und naturwissenschaftlichen Texten zeigen jedoch, dass die Kultur Eblas vom sumerischen Süden Mesopotamiens geprägt war. Auch die Götter der Eblaiten sind die der frühen semitischen Stadtstaaten Babyloniens: Reschef, Ischtar und Aschirat, über denen der Wettergott Dagan thront. Zu den Vorläufern für den Langhaus-Anten-Tempel, wie er nicht nur in Syrien, sondern auch in Kleinasien vorkam, gehört in Ebla der »Tempel D«. Auch die der Repräsentation dienende Architektur ist hoch entwickelt, wie der säulenumstandene Zeremonialhof des »Palastes G« am Südwesthang der Akropolis belegt; hier, am Ort der Archivfunde, wurden im Rahmen der für den Alten Orient so typischen »Tempel- und Palastökonomie« offensichtlich Verwaltungsaufgaben wahrgenommen. Die wirtschaftlichen Grundlagen Eblas waren im Wesentlichen Ackerbau und Viehzucht; ein Wirtschaftstext attestiert dem König den Besitz von 80 000 Schafen. Daneben spielten Handwerk und Kunsthandwerk eine wichtige ökonomische Rolle. Auch die Kontrolle über eine der wichtigen Fernhandelsstraßen dürfte beträchtlichen Gewinn abgeworfen haben. Trotz ihrer umfangreichen Befestigungswerke mit ausgeklügelten Toranlagen fiel die Stadt im letzten Drittel des 3. Jahrtausends den Eroberungs- und Beutezügen Sargons und Naramsins, der Könige von Akkad, zum Opfer.Byblos (heute Djubail) verdankte seinen Glanz und seinen Reichtum der Funktion als Exporthafen für einen der wichtigsten Rohstoffe der altvorderasiatischen Welt: Holz. Für die bis zu 30 m langen Zedernstämme vom Libanon gab es in Architektur und Schiffbau keinen Ersatz, Hauptabnehmer über See war Ägypten. Seit der Mitte des 3. Jahrtausends gab es daher in Byblos eine Kolonie ägyptischer Kaufleute mit eigenem Wohnviertel und eigenen Heiligtümern. Auch die 1954 bei Ausgrabungen neben der Pyramide des Cheops in Giseh gefundene Barke des Pharaos bestand aus Zedernholz; Zeugen dieser archäologischen Sensation berichteten, der typische Holzduft sei noch zu riechen gewesen. Noch um 1070/60 v. Chr. schickten die Priester von Theben einen Gesandten namens Wenamun nach Byblos, um Zedernholz für die Barke von Ramses XI. zu holen. Die Verhältnisse aber hatten sich inzwischen grundlegend gewandelt: War die Lieferung des geforderten Zedernholzes früher gleichsam eine Selbstverständlichkeit, so ließ sich der Stadtkönig von Byblos die begehrten Baumstämme nunmehr gut bezahlen.Kunst und Kultur in der Stadt Byblos waren vielfältig und hoch entwickelt. Durch einen glücklichen Zufall haben sich zwei Königsgräber des 19./18. Jahrhunderts v. Chr. einschließlich ihrer kostbaren Grabbeigaben unberührt erhalten. Unter letzteren befindet sich ein Brustschmuck aus getriebenem Goldblech mit einer großflächigen Darstellung des Horusfalken, typisch für die ägyptisierende, in einzelnen Zügen - etwa der Zungenblattreihe des unteren Randleistenornaments - gleichwohl eigenständige Bildersprache des kanaanäischen Kunsthandwerks. Von hoher Perfektion, stilistisch den einheimisch kanaanäischen Traditionen ebenso verpflichtet wie von ägyptischen Vorbildern inspiriert, sind auch die etwa gleichzeitigen goldenen Zeremonialwaffen - Meisterwerke der Granulationstechnik - und andere Geräte, die aus Weihegruben im Areal des Obeliskentempels in Byblos geborgen wurden. Die Erforschung dieses Tempels, der dem Gott Reschef geweiht war, war von besonderer Bedeutung für unser Wissen um die kanaanäischen Glaubensvorstellungen in der Bronzezeit. Das Kultbild des Gottes war ein schlichtes, bildloses Steinmal. Im Hof hinter dem Kultbau stehen noch heute senkrecht »Obelisken«, Steinmale von pfeilerartiger, abstrakter Form; offensichtlich handelt es sich um bildlose »Stellvertreter« frommer Anhänger oder Stifter, die sich auf diese Weise im Angesicht des Gottes ständig präsent halten wollten. Solche ganz und gar unfigürlichen Steinmale nannten die Griechen später »Baityloi« (Bätylen); auch die Kultur der Hebräer kennt die bildlosen »Masseboth« (Masseben).Ugarit (heute Ras Schamra), wenige Kilometer nördlich von Latakia an einem Kap gelegen, war diejenige unter den Städten der Bronzezeit im syrisch-palästinensischen Raum, die am ehesten die Struktur und Lebensweise der späteren Phönikerstädte vorwegnahm: Kaufleute aus Ägypten, Palästina, Kleinasien, Zypern und Kreta waren hier ansässig und hatten sich zu eigenen Fremdenkolonien zusammengeschlossen, in denen sie ihre angestammten Begräbnisrituale und Ahnenkulte pflegen konnten. Der Palast des Stadtkönigs von Ugarit aus dem 14. Jahrhundert enthielt außer den Wohn- und Repräsentationstrakten auch Werkstätten und Schreibstuben, vor allem aber Archive mit tausenden von Tontafeln, die bei den französischen Ausgrabungen seit 1929 geborgen wurden (einige davon in einem Töpferofen, wo sie im Augenblick der Eroberung und Zerstörung der Stadt gerade gebrannt werden sollten). Weitere Tontafelarchive fanden sich verstreut über die Stadt sowie in der rund 500 m2 umfassenden Priesterresidenz auf der Akropolis, die sich zwischen dem Tempel des Hauptgottes Baal und dem Dagantempel befand. Die Texte sind in babylonischer Keilschrift oder im hier in Ugarit entwickelten, 30 Zeichen umfassenden Keilalphabet geschrieben. Die Vielsprachigkeit in der Stadt wird deutlich an einigen Wörterlisten, die bis zu vier Sprachen erfassen: Sumerisch, Akkadisch, Hurritisch und Ugaritisch.Die religiösen Texte, die Wirtschaftsurkunden und die diplomatische Korrespondenz der Tontafelarchive sind eine nahezu unerschöpfliche Informationsquelle zum politischen Geschehen in den beiden letzten Jahrhunderten der Bronzezeit um 1400 bis 1200 v. Chr., zu den Göttervorstellungen jener Zeit, den Sagen und Legenden, die man sich erzählte, nicht zuletzt zu den wirtschaftlichen und sozialen Verhältnissen. Wenn man bedenkt, dass die gleichrangigen Städte weiter im Süden nicht - wie Ugarit - am Ende der Bronzezeit im Seevölkersturm ausgelöscht wurden, sondern vielmehr ihre Traditionen ungebrochen weiterführen konnten, so kann man sich gut vorstellen, dass manches von dem, was die Archive von Ugarit berichten, auch für die phönikischen Städte des 1. Jahrtausends noch galt.Prof. Dr. Hans Georg Niemeyer
Universal-Lexikon. 2012.